Corona trifft Theater – letzter Teil der Online-Abschlusspräsentation des Literaturkurses (9)

Was wäre eigentlich gewesen, wenn Romeo nicht zu Julia hätte gehen können, weil so eine kleine Pandemie mit Ausgangssperre dazwischengekommen wäre? Und was wäre dann aus Antigone oder Woyzeck geworden?

Der Literaturkurs verrät es in seiner Online-Abschlusspräsentation! Vorstellungen abgesagt – wir machen trotzdem Theater: Eine szenische Collage aus Texten der Weltliteratur hätte in diesem Jahr auf dem Programm gestanden. Hiervon ausgehend haben die Schüler/innen Monologe ihrer Figuren erarbeitet (und in einer Videokonferenz präsentiert). Sie sollten sich vorstellen, dass ihre Figur unmittelbar vor der eigentlich zu spielenden - und bereits eingeprobten - Szene die Nachricht erhält, wegen einer gefährlichen ansteckenden Krankheit sofort in Quarantäne zu müssen.

Mit diesem neunten Monolog, bei dem es der Schülerin hervorragend gelungen ist, den Ton des Originals zu treffen, endet unsere Reise durch die Weltliteratur! Die acht vorherigen Beiträge sind im Nachrichten-Archiv zu finden. (J. Hildebrandt)

 

Monolog 9: Marie aus Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“

Darum geht es: Woyzeck, psychisch instabil und innerlich gespalten, kommt einer Affäre seiner Partnerin Marie auf die Schliche. Diese verspricht sich von einem besser gestellten Mann – dem Tambourmajor – den lange erträumten sozialen Aufstieg für sich und ihren unehelichen Sohn.

 

(Marie packt hysterisch ihre Sachen, spricht zu ihrem Kind)

Still Bub, ich muss packen. Im Radio kam eine Meldung. Eine unbekannte Krankheit verbreitet sich. So qualvoll und tödlich, als wär´ sie vom Teufel persönlich geschickt worden. Das Verlassen des Hauses ist für alle Bürger strengstens untersagt. Mein liebes Kind, nimm´ dir bloß kein Beispiel an mir, denn heute werde ich Regeln brechen. Selbstverständlich nur zu meinem Schutz … und zu deinem natürlich auch. Sobald die Dämmerung einbricht, werden wir fliehen, denn sofern mein Gefühl mich nicht trügt, werden wir dem Tode in diesem Haus schneller ins Auge blicken als überall sonst auf dieser Welt. Wir haben keine Vorräte und weder die Zeit noch das Geld uns welche anzuschaffen. Doch ich wäre glücklich, wäre der Hunger das Einzige, wovor ich mich fürchten muss. Woyzeck bereitet mir größere Sorgen. Ihn rund um die Uhr an meiner Seite zu wissen, lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Der arme Kerl ist völlig verrückt. Dort, wo ich früher die Seele eines geliebten Mannes gesehen habe, sehe ich nun Wahnsinn, nichts als Wahnsinn. Ich spüre die Gefahr in jedem seiner Atemzüge. Wir müssen uns vor ihm schützen, laufen müssen wir.  Ich weiß auch schon wohin! Der Tambourmajor kann uns mit Sicherheit ein sicheres Plätzchen zum Übernachten anbieten. (Sie nimmt die Ohrringe in die Hand) Vor allem, weil ich mich für sein großzügiges Geschenk ohnehin nochmals persönlich bei ihm bedanken wollte. Nachdem ich das getan habe, kann er mir keinen Wunsch mehr abschlagen. So oder so könnte ein Mann wie er eine Frau wie mich unter keinen Umständen im Stich lassen. Vor allem nicht, wenn dabei ein so zartes, zerbrechliches Kindesleben wie deines auf dem Spiel steht. Dafür ist sein Stolz zu groß. Er wäre nicht er, würde er die Chance verpassen, sich wieder einmal zum Helden zu machen, und ich wäre nicht ich, würde ich sein großes Ego nicht zu meinem kleinen Vorteil machen. Männer haben nicht die leiseste Ahnung, wie viel Macht wir Frauen über sie haben. Das Geheimnis besteht darin, sie glauben zu lassen, Männer seien das dominantere Geschlecht …                                                                                   Du solltest dich ausruhen, ehe wir uns heute Abend auf den Weg machen. Still Bub, drück´ die Augen zu. Fest. Noch fester…