Über das Kunstwerk in unserer Aula – Stufen der Entwicklung

Man kann es nicht übersehen: Über fast die gesamte Breite der Aulawand zieht sich ein großes, buntes Kunstobjekt. Doch was genau hat es eigentlich damit auf sich?

ER BEGRIFF FÜR IMMER DASS DER MENSCH WIE DAS ATOM NUR DURCH DEN TEIL SEINER SELBST WERT HAT DER IN DAS UNIVERSUM EINGEHT“

So heißt es auf der Texttafel neben dem großen Keramikrelief in unserer Schulaula. Ein merkwürdiger Satz. Was soll das denn heißen? Schauen wir uns das Kunstwerk einmal genauer an.

Neben der Texttafel besteht das Kunstwerk aus einem fast 15 Meter breiten schräg ansteigenden Flachrelief und einer runden Fläche von etwa zwei Metern Durchmesser. Der lang gezogene Teil setzt sich aus mehreren annähernd dreieckigen Flächen zusammen, die durch schmale Stege verbunden sind. Im ersten Dreieck sehen wir viele weiße Kreise mit einem dunklen Punkt in der Mitte. Sie erinnern entfernt an einfache Atommodelle, die wir aus dem Unterricht kennen. Das ist die erste Stufe: Die Atome, winzige Bausteine, aus denen alle festen, flüssigen und gasförmigen Stoffe bestehen.

Im nächsten Feld wird es bunter: Wieder sehen wir Kreise, dieses Mal aber in verschiedenen Farben und eng miteinander verbunden. Die Formen werden komplizierter. Das ist die zweite Stufe, die Moleküle, Verbindungen mehrerer Atome. Ein Beispiel hierfür ist z.B. Wasser, das aus den Elementen Sauerstoff und Wasserstoff besteht.

Wir ahnen schon, wie es weitergeht: Es wird lebendig, Stufe 3. Wir erkennen zunächst einfache Einzeller, sehr kleine Tiere, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen. Sie werden schrittweise abgelöst von immer komplizierteren Strukturen bis hin zu menschlichen Schädeln. Der Höhepunkt in diesem Feld: das menschliche Gehirn. Uns wird hier also der Weg gezeigt vom Atom über das Molekül und die Einzeller bis hin zum Menschen.

Ein Feld ist noch übrig, die vierte Stufe. Es zeigt uns, was der Mensch schaffen kann. Dort sind z.B. eine Satellitenschüssel, aber auch Getreideähren zu sehen. Der Mensch formt dank seines Geistes die Welt. Er züchtet Pflanzen, er entwickelt technische Gerätschaften.

Dieser linke, lang gezogene Teil des Keramikreliefs endet mit einem mehrfarbigen, glitzernden Strahl, der in Richtung des kreisförmigen Elements zeigt. Aber was soll denn jetzt noch kommen? Ist der Mensch nicht das am höchsten entwickelte Lebewesen?

Der Kreis zeigt, dass der Mensch über sich hinauswachsen kann und über sich hinausdenken kann: Im Mittelpunkt des Kreises sind die Worte „Raum“ und „Zeit“ zu lesen, aus denen heraus sich eine goldene Spirale entwickelt. Eine Idee von Vollendung und Konzentration.

So schlägt das Kunstwerk einen großen Bogen vom Atom bis hin zur Vollendung, etwas Übermenschlichem, das den Einzelnen überdauert. Hier kommt wieder der Satz vom Anfang ins Spiel: „ER BEGRIFF FÜR IMMER DASS DER MENSCH WIE DAS ATOM NUR DURCH DEN TEIL SEINER SELBST WERT HAT DER IN DAS UNIVERSUM EINGEHT“.

Dieser Satz stammt von Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955), einem französischen Ordensmann und Philosophen, der über großes naturwissenschaftliches Wissen und einen tiefen Glauben verfügte. Er war der Überzeugung, dass die gesamte Wirklichkeit etwas Dynamisches ist, also etwas, das dauernd in Entwicklung ist. Aus etwas Einfachem entsteht etwas immer Komplizierteres. Dies nannte er „Kosmogenese“. Als Christ glaubte Pierre Teilhard de Chardin, dass diese Entwicklung von Gott bewirkt wurde und noch nicht abgeschlossen ist.

Diesen Gedanken versuchte die Künstlerin Ruth Landmann (1912-2008) in ihrem vier mal 16 Meter großen Kunstwerk aus dem Jahr 1971 Form und Farbe zu geben. Sie besuchte die Kunstgewerbeschule und die RWTH in Aachen, arbeitete später aber vor allem in Norddeutschland.

Warum solch ein Kunstwerk in einer Schulaula? Vielleicht dachte man, dass es eben auch in der Schule darum geht, sich zu entwickeln, Neues zu lernen, an Herausforderungen zu wachsen und einen Teil in sich zu entdecken, der größer ist als man selbst.

Weitere Informationen zur Künstlerin und genauere Angaben zum Kunstwerk mit dem Titel „Die geistige Potenz der Materie“ findet man auf den Seiten des Landmann Archivs unter www.ruth-landmann.de/werkverzeichnis/detailansicht.php?wvid=253

J. Hildebrandt


Urheberrechte an den Bildern: Copyright © 2009 Ruth und Theo M. Landmann Archiv e.V.